Kulles grundlegende, leicht verständliche Erklärung der gegenwärtigen menschlichen Wirtschaftskrise, nicht nur für Bären, sondern für alle Wesen von ein wenig geringem Verstand, in wenigen Paragraphen
§1 Alle Lebewesen haben Bedürfnisse. Der Mensch gehört zu den Lebewesen, hat also ebenfalls Bedürfnisse. Die Grundbedürfnisse eines jeden Lebewesens müssen befriedigt werden, sonst stirbt es vor dem Ende seiner möglichen Lebenszeit.
§2 Die meisten Lebewesen sorgen selbst für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse. Auch der Mensch hat das einst getan. Dann aber begann er, sich kräftig zu vermehren, und er musste sich den Lebensraum mit anderen Menschen teilen. Er begann auch, sich die Arbeit zu teilen: Er spezialisierte sich auf bestimmte Fertigkeiten. Einer backte zum Beispiel Brot, während der andere Tontöpfe herstellte, in denen man Suppe kochen konnte.
§3 Der Mensch, der Hunger auf Suppe hatte, ging zum Töpfer, der Töpfer, der Brot wollte, verhandelte mit dem Bäcker: Wie viele Brote sind ein Topf?
§4 Oft fand der Töpfer keinen Bäcker und der Bäcker keinen Töpfer. Es war viel praktischer, sich auf ein Produkt zu einigen, das alle Hersteller als Gegenleistung für ihr Angebot akzeptierten und mit dem man selbst alles erwerben konnte, was man brauchte. Schafe zum Beispiel, oder Hühner, Ziegen, Schweine: Fast jeder hatte ein Tier in seinem Hof. Oder Salz: Salz war ein kostbares Gut, und es ließ sich leicht in kleine Einheiten teilen.
§5 Tiere müssen gefüttert werden, sonst sind sie nichts mehr wert, Salz löst sich auf, wenn es mit Wasser in Berührung kommt: Der Mensch suchte nach einem dauerhafteren Gegenstand, gegen den man alles tauschen konnte. Er fand ihn in Gestalt von Gold, Silber und Kupfer, die er in reiner Form oder als Erz aus der Erde holte. Edelmetalle wurden allgemeine Tauschmittel, man prägte Münzen daraus und nannte sie Geld, und wer das Geld mit billigem Blei fälschte, wurde mit dem Tode bestraft, denn das Geld hatte einen Wert, und auf den sollte sich jeder Mensch verlassen können. Nur die Könige betrogen nach Herzenslust und kamen mit dem Leben davon, aber das war bei Königen ja schon immer so.
Das Verfahren wurde Jahrtausende lang angewendet, und in diesen Jahrtausenden wurden Reiche gegründet und gingen Reiche unter, und die Menschen verwandelten die Erde in einen Menschenplaneten, und sie gewannen Kenntnisse, aber nicht viel an Erkenntnis, was sich daran festmachen lässt, dass sie immer brutalere Kriege gegeneinander führten.
§6 In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts führte der große Staat USA einen brutalen und teuren Krieg gegen das Volk des kleinen Staates Vietnam. Für diesen Krieg brauchten die USA mehr Geld, als sie Edelmetalle hatten. Die Regierung zog daraus aber nicht die logische Konsequenz, den Krieg zu beenden, sondern erklärte ihren eigenen Bürgern und allen anderen Menschen, dass der Wert des Geldes der USA ab 1971 nicht mehr durch Edelmetalle gesichert sei. Die Regierungen der anderen Staaten fanden das praktisch und machten es den USA nach. Mit dem wertlosen Geld der verschiedenen Staaten begann an neu eingerichteten Devisenbörsen ein lebhafter Handel.
§7 Eine wahre Geldexplosion setzte ein: Die Zentralbanken der Staaten druckten freudig immer mehr Geldscheine. Die Geschäftsbanken drängten ihren Kunden Kredite auf, um durch die Rückzahlung der Schulden selbst mehr Geld zur Verfügung zu haben. Die Investmentbanken, die eigentlich außer sich selbst keine Kunden haben und denen es nur darum geht, aus Geld sehr viel mehr Geld zu machen, erfanden dafür immer neue Glücksspiele, die sie als „Handel mit Derivaten“ bezeichneten.
§8 Nicht nur die Kunden der Geschäftsbanken gaben Geld aus, das sie nicht hatten. Die Regierungen der Staaten handelten ebenso und häuften im Lauf der Jahre einen gigantischen Schuldenberg auf die Schultern ihrer Bürger.
§9 Seit das Geld der Menschen keinen objektiven Wert mehr hat, hat es nur noch einen subjektiven. Wenn die Menschen glauben, dass es sich lohnt, viel davon zu besitzen, kaufen sie mehr davon: Die Nachfrage steigt, und mit der Nachfrage steigt der Preis. Wenn sie am Wert des Geldes zweifeln, verkaufen sie es: Die Nachfrage bricht ein, und ohne Nachfrage fällt der Preis in den Keller.
§10 Als deutlich wurde, dass die mittellosen Kunden der Geschäftsbanken ihre ihnen aufgedrängten Kredite nie würden zurückzahlen können und dass die Glücksspiele der Investmentbanken nichts anderes sein konnten als ein Nullsummenspiel, verkauften die Menschen ihre Beteiligungen an den Banken. Die Banken waren bankrott.
§11 Die Banken durften aber nicht bankrott sein, beschlossen die Regierungen. Wenn es die Banken nicht mehr gab, bei wem sollten sie selbst künftig Schulden machen, um ihre Bürger bei Laune zu halten und die nächsten Wahlen zu gewinnen? Außerdem wussten die Regierungen, dass viele Bürger ihr erspartes Geld den Banken anvertraut hatten. Diese Einlagen durften nicht verloren sein, wollte man den sozialen Frieden bewahren.
§12 Die Regierungen retteten also ihre Banken und andere Regierungen, die noch mehr Schulden gemacht hatten als sie selbst. Weil es an Geld mangelte, senkten sie die Zinsen und ließen neues Geld drucken.
Das Vertrauen der Menschen in den Wert des Geldes nahm wieder zu. Sie wollten mehr davon haben.
Das letzte Wort soll mein geschätzter Kollege Paul Sweezy haben:
„Wir sehen nun genau wieso, obwohl jeder die zunehmend abscheulicheren Exzesse der finanziellen Explosion bedauert, nichts passiert – oder gar ernsthaft vorgeschlagen wird – um sie unter Kontrolle zu bringen. Das Gegenteil ist der Fall: Jedes Mal, wenn eine Katastrophe droht, springen die Autoritäten bei, um das Feuer zu löschen – und verschütten während dessen noch mehr Benzin für das nächste Auflodern der Flammen. Der Grund hierfür ist einfach der, dass, wenn die Explosion unter Kontrolle gebracht würde… die gesamte Ökonomie ins Chaos stürzte. Die Metapher von dem Mann, der einen Tiger reitet, trifft diesen Prozess haargenau.“