Elternführerschein

Manfred und Grizzy

Manfred unternahm seinen vorläufig letzten Inspektionsgang in der neuen Bärenheimat. Es war Mitte November geworden, und vor allem in den Senken und den vor dem Wind geschützten Lagen der LaSals versank er schon bis zum Bauch im Schnee. Höchste Zeit also für den Winterschlaf!
Er stellte beruhigt fest, daß alle getan hatten, was für das sichere Überstehen der nächsten Monate notwendig war. Zuerst einmal hatten sie gefressen, was das Zeug hielt, achtzehn, manchmal auch neunzehn Stunden am Tag, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Ramses und das Schwein hatten sich dabei natürlich zurückgehalten – der Frosch brauchte so gut wie keine Reserven für die kalte Jahreszeit, weil er seinen Metabolismus auf Sparflamme stellte, und das Schwein konnte nun einmal nicht mehrere Monate hintereinander schlafen; deshalb hatte es sich Vorräte angelegt und hauptsächlich Eicheln gesammelt. Auch die Bären lagerten kleine Berge von Nüssen, Eicheln und getrockneten Früchten und Pilzen in den Ecken ihrer Höhle. Keiner von ihnen würde die ganze Zeit lang durchschlafen, sondern zwischendurch aufwachen, für kurze Zeit nur und ein bißchen dumpf im Kopf, aber immer hungrig.
Manfred war nicht unterwegs, um zu überprüfen, wie sich die anderen vorbereitet hatten. Ihm ging es um Selbstkontrolle. Er rüttelte an den elektrischen Leitungen, die er verlegt hatte, untersuchte jeden einzelnen Schaltkreis in der Telefon- und Computerzentrale und warf zum Schluß einen Blick in die Bibliothek. Die Regale, die die Bären selbst gezimmert hatten, waren schon recht gut gefüllt. Selbstverständlich enthielten sie kaum noch Nachschlagewerke. Informationsbedarf ließ sich heutzutage in der Regel schneller und aktueller elektronisch befriedigen als mit Hilfe von bedrucktem Papier. Dagegen waren die Abteilungen Literatur, Kunst und Philosophie schon zu beachtlicher Größe angeschwollen. Wahrscheinlich, dachte Manfred, würden auch sie eines Tages verschwinden und durch das e-book ersetzt werden. Oder vielleicht auch nicht. Er konnte sich nur schwer vorstellen, daß sein altmodischer Vater zum Beispiel Hegels Darlegungen auf einem Bildschirm mit Hilfe eines Lesegerätes zu verstehen versuchte, anstatt mit einem Buch in der Hand herumzuwandern und dabei leise vor sich hin zu schimpfen, weil er die komplizierten Gedankengänge nicht sofort begriff. Und auch Kulle würde wohl die Papierausgabe vorziehen – wie sollte er auch auf einem Bildschirm seine wütenden Anmerkungen unterbringen, die er an den Rand von Texten zu kritzeln pflegte? Er schmunzelte, weil er an die beiden Bären dachte, die er am meisten liebte, abgesehen von seiner Mutter natürlich, und weil er mit seiner Arbeit zufrieden war. Er konnte sich beruhigt der überwiegend traumlosen Winterruhe hingeben, ohne sich zu sorgen, daß draußen der Schnee unermüdlich Zentimeter um Zentimeter höher wuchs und alles Leben unter sich begrub.
Athabasca
Er drehte sich um und fand den Weg zurück zur Höhle versperrt. Athabasca stand dicht vor ihm. Er spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann, scheinbar direkt in seiner Kehle. Vergeblich versuchte er zu schlucken und sich zu beruhigen. Hatte er gerade wirklich an die drei Bären gedacht, die er am meisten liebte? Er wollte Athabasca begrüßen, brachte aber keinen artikulierten Ton heraus.
Atti nickte, als wüßte sie Bescheid. „Hi, Manfred“, sagte sie leichthin und beglückte ihn mit einem charmanten Lächeln. „Alles klar fürs Hibernieren?“
Manfred nickte.
„Schön!“ kommentierte die junge Bärin. Und selbstverständlich, als redete sie über eine Nebensächlichkeit, fuhr sie fort: „Wir beide müssen uns übrigens beeilen, wenn wir in diesem Jahr noch ein Kind machen wollen.“
Manfred verschluckte sich und bekam einen Hustenanfall, der ihn hilflos röcheln ließ. Vielleicht hätte er sich nie wieder davon erholt und wäre elendiglich erstickt, wenn Athabasca ihm nicht energisch auf den Rücken gesprungen und ihm von diesem Sitz aus in die Flanken getreten hätte. Ganz allmählich kam er so wieder zu Atem.
„Was hast Du gesagt?“ japste er endlich.
„Du hast mich ganz genau verstanden!“ entgegnete Atti seelenruhig. „Glaubst Du, ich habe nicht gemerkt, daß Du schon vom ersten Tag an um mich herumschleichst und mir zu imponieren versuchst? Kann das etwas anderes bedeuten, als daß Du mit mir schlafen willst? Ich jedenfalls habe nicht angenommen, daß Du mir das Angebot machen wirst, mich zur Hilfsmedientechnikerin auszubilden! Oder irre ich mich?“
„Nnnein…ja…nein…“ Manfred konnte in seiner Verwirrung nur stammeln.
„Also habe ich recht“, stellte Atti fest. „Du hast Dich nur nicht getraut. Seid Ihr Europäer immer so schüchtern?“
„Nur manchmal…“ Nur mühsam konnte Manfred sich sammeln. Ganz allmählich, wie ein kleines, vom Ausgehen bedrohtes Flämmchen, glimmte in seinem Bewußtsein der Gedanke auf: Sie mag mich! Sie will mit mir schlafen! Er war so begeistert von dieser Erkenntnis, daß er sie laut äußern mußte.
„Du willst mit mir schlafen!“ rief er.
„Das habe ich nicht gesagt.“ Die Bärin war so ernsthaft, daß Manfreds Freude in sich zusammenfiel.
„Zuerst müssen wir klären, ob Du als Vater meiner Kinder geeignet bist.“ Sie zog ein eng zusammengerolltes Blatt Papier aus ihrem dichten Nackenfell, das Manfred bisher nicht bemerkt hatte. Sie breitete es aus und hielt es Manfred hin.
„Da, lies!“
Er gehorchte.

Fragebogen zum Mutterführerschein

1. Was mache ich, wenn ich schwanger bin?
a) Jeden Tag möglichst viel mit dem Fötus reden – das gibt ein kluges Kind.
b) Viel Honigwein trinken, damit das Kind groß und stark wird.
c) Fressen, fressen, fressen – nach der Geburt werde ich die Reserven brauchen.

2. Wie verhalte ich mich bei der Geburt?
a) Ich suche den besten Bärenarzt, den ich finden kann, und wenn er am anderen Ende der Welt wohnte.
b) Ich bitte alte Bärinnen um Beistand.
c) Ich verlasse mich ganz auf meinen gesunden jungen Körper.

3. Während der ersten Wochen
a) weiche ich meinem Jungen nicht von der Seite.
b) muß ich viel schlafen und mich von der Geburt erholen.
c) lasse ich mein Junges seine ersten selbständigen Erfahrungen machen.

4. Auf den Vater meines Kindes
a) kann ich mich verlassen, er hilft mir bei der Erziehung.
b) kann ich nicht bauen, er kümmert sich nicht um das Kleine.
c) Vor dem Vater werde ich das Kleine in Sicherheit bringen, damit er es nicht auffrißt.

5. Selbstverständlich hat mein Junges seinen eigenen Kopf.
a) Gut so – so entwickelt es seine Persönlichkeit.
b) Seinen eigenen Kopf kann es haben, nachdem ich meine Erziehung beendet habe, aber keinen Augenblick früher.
c) Wir werden Differenzen ausdiskutieren, falls sich welche ergeben sollten.

6. Mein Kind hat viele Wünsche
a) Mein Kind bekommt alles, was es haben möchte – ich will schließlich, daß es ein glücklicher Bär wird.
b) Mein Kind bekommt alles, was es sich erarbeitet hat.
c) Ich entscheide das nach Lust und Laune – es geht hier ja auch ums Lustprinzip!

7. Was soll mein Kind lernen?
a) Lernen darf kein Zwang sein – die Jungen wissen selbst am besten, was gut für sie ist.
b) Das Beste ist gerade gut genug! Mein Kind ist intelligent und schafft das schon, auch wenn es schwierig ist.
c) Denken.

8. Was verbiete ich meinem Kind?
a) Alles.
b) Gar nichts.
c) Das weiß ich noch nicht – erst mal sehen, wer mein Kind ist.

Manfred war verwirrt, als er die Lektüre beendet hatte. „Ja…sehr interessant…“ murmelte er. „Und was soll ich jetzt tun?“
„Natürlich die Fragen beantworten, du dummer Bär!“ forderte Atti ungeduldig.
„Warum sollte ich? Das sind doch Fragen zu einem Mütter- und nicht zu einem Väterführerschein“, wehrte Manfred ab.
„Stimmt, aber jeder, der sie beantwortet, verrät dabei, wie viel oder wie wenig er vom Bärenleben versteht. Und genau das will ich von Dir wissen, bevor wir vielleicht zusammen ein Kind zeugen.“
Na gut!“ brummte Manfred. Er wollte Athabasca, er mochte sie, vielleicht liebte er sie sogar, also kam er um den lästigen Fragebogen wohl nicht herum.
„Während der Schwangerschaft frißt Du, so viel Du kannst, und meinetwegen kannst Du mit dem Foetus auch reden. Du wirst allerdings zu beidem wenig Gelegenheit haben, denn überwiegend wirst Du Winterschlaf halten. Bei der Geburt solltest Du nicht leichtsinnig auf Dich selbst vertrauen, aber auch kein Gewicht verlieren, indem Du endlos weit zu einem berühmten Arzt rennst. Vertraue Dich lieber erfahrenen Frauen an. Selbstverständlich wirst Du in den ersten Wochen, ja sogar während der ersten Monate ständig um die Jungen sein, und ich – äh – also der Vater wird Dir dabei helfen. Ein guter Vater wird sich ab und zu auch alleine um die Kinder kümmern. Es ist viel zu gefährlich, daß Bärenkinder schon früh ihren eigenen Kopf durchsetzen, aber wenn sie sich Mühe geben, bekommen sie zur Belohnung auch, was sie sich wünschen. Denken lernen ist meiner Meinung nach das wichtigste Erziehungsziel, und Ge- und Verbote hängen in der Tat stark von der jeweiligen Persönlichkeit ab.“ Nach dieser langen Rede sah er die junge Bärin erwartungsvoll an.
Athabasca reagierte völlig anders, als er erwartet hatte. Sie sah ihn mit einem unendlich verächtlichen Blick an, würdigte ihn keines Wortes, drehte sich schnell wie ein Wirbelwind auf den Hinterpranken herum und war im selben Moment auch schon verschwunden. An ihre Gegenwart erinnerten nur noch einige gelbe welke Blätter, die zu Boden segelten – Atti hatte sie bei ihrem schnellen Abgang abgestreift. Und eine Spur im tiefen Schnee.
Jetzt begriff Manfred gar nichts mehr. Er hatte ihr nach bestem Wissen und Gewissen geantwortet und hatte nicht die geringste Ahnung, was er falsch gemacht haben könnte. Aber natürlich wollte er es gerne wissen. Nur – wie sollte er das herausbekommen? Atti konnte er wohl kaum fragen, das hatte sie ihm nur allzu deutlich signalisiert. Seine Eltern wollte er nur ungern über sein Problem informieren, und das ist gut verständlich: Kein Kind auf dieser Welt will seinen Eltern offenbaren, daß es Schwierigkeiten mit der Liebe hat. Also blieb nur Kulle übrig.
Manfred wußte, wo er Kulle suchen mußte; jetzt, da die Jahreszeit weite Streifzüge durch die Berge nicht mehr zuließ. Natürlich in der Bibliothek.
Kulle hatte sich in eine Ecke gerollt, die von einer tief hängenden Glühbirne beleuchtet wurde. Er lag auf der Seite und hielt ein aufgeschlagenes dünnes Buch in der Pfote. Als Manfred sich näherte, registrierte er, daß Kulle nur mit dem oberen Auge las. Das untere war geschlossen. Die eigentlich obligatorische Fliege war nicht um seinen Hals geschlungen. Kulle war kurz vor dem Einschlafen und hatte sich schon für den Winterschlaf ausgezogen.
Der junge Bär störte ihn dennoch. Zu drängend war seine Frage, und er wollte nicht riskieren, ein Jahr zu verschenken oder Athabasca vielleicht sogar ganz zu verlieren. Kulle brummte anfangs zwar empört, aber bald hörte er interessiert zu.
Als Manfred seinen Bericht beendet hatte, schüttelte er jedoch den Kopf. „Hmm. Ich verstehe das auch nicht. Soweit ich Dein Verhalten beurteilen kann, entspricht es völlig der Bärenetikette. Die Literatur ist hier, fürchte ich, nur wenig hilfreich. Nietzsche empfiehlt, die Peitsche mitzunehmen, wenn man zum Weibe geht. Lange Zeit habe ich ihn wegen dieses Spruches für einen Masochisten gehalten, aber er hat den Rat anders gemeint. Schopenhauers Aussage über die Dummheit der Frauen ist selbst so dumm, daß er eines Kommentars unwürdig ist. Die Klassiker haben sich zu Frauen wenig geäußert. Am ehesten kann ich mich noch an Marx‘ Brief an Engels erinnern, in dem er ihm kondoliert: „Der Tod der Mary hat uns alle sehr erschüttert…“ Aber gleich danach schreibt er auch schon wieder davon, daß er pleite ist und dringend Geld braucht. Brief an die Kollontai? Falsch – dabei geht es um die Möglichkeit des direkten übergangs zum Kommunismus im feudal geprägten Rußland…Und Bebel sagt viel über die Frau im Sozialismus, aber nichts über einen Mütterführerschein. Außerdem weiß Du ja, daß ich Junggeselle bin. Ich habe keine Erfahrung mit Frauen. Aber Dein Vater kann Dir da sicher weiterhelfen.“
Kulle legte sich wieder hin, ohne eine Reaktion Manfreds abzuwarten. Das Buch, das er die ganze Zeit lang festgehalten hatte, fiel ihm aus der Hand und klappte zu, so daß der Titel lesbar wurde: James D. Doss. Shaman sings. Kulle las einen Krimi! Er mußte wirklich sehr müde sein.
Ohne große Hoffnungen machte Manfred sich auf die Suche nach Bärdel, wie Kulle es ihm empfohlen hatte. Er tat recht daran, keinerlei Erwartungen zu hegen: Sein Vater konnte an seinem Verhalten ebenfalls nichts Falsches finden.
„Frag am besten Deine Mutter!“ riet Bärdel ihm und gähnte dabei herzhaft. „Sie als Frau weiß bestimmt, was Athabasca gestört hat.“
Sein Sohn befolgte den Rat nur ungern. Er wußte nicht genau warum, aber er schämte sich sehr, seiner Mutter gegenüber seine Schwierigkeiten zuzugeben. Es war ihm wesentlich leichter gefallen, mit Kulle und Bärdel darüber zu sprechen.
Tumu schien, ebenso wie die anderen Bärenfrauen, noch gar nicht müde zu sein. Die Frauen schleppten ihre vom angefressenen Speck schweren Körper durch die Schlafhöhle und ordneten alles für die lange Winterpause. Das machten sie bereits mindestens zum fünften Mal, und eigentlich gab es nichts mehr zu räumen, aber sie gaben sich dennoch den Anschein, als herrsche völliges Chaos. Nur mühsam konnte Manfred Tumu dazu bringen, das Neuarrangement der Wintervorräte den anderen Frauen zu überlassen und ihm zuzuhören. Dann aber lauschte sie konzentriert.
„Du hast nichts falsch gemacht“, kommentierte sie, als er fertig war. „Jedenfalls nicht nach unseren Maßstäben. Aber Atti ist wohl noch an archaische Formen des Zusammenlebens gewöhnt. Anders kann ich mir ihre Reaktion nicht erklären.“
Mama“, sagte Manfred und rutschte unruhig von einer gut gepolsterten Hinterbacke auf die andere, „Mama, ich finde nicht, daß es gerade jetzt an der Zeit ist, in Rätseln zu sprechen!“
„Das kann ich nachvollziehen. Aber Du mußt mich auch verstehen: Ich bin gerade im Begriff, einen uralten Schwur zu brechen, den sich alle europäischen Bärinnen seit Jahrhunderten gegeben haben und noch heute geben. Ich muß mein Versprechen zu schweigen brechen, denn sonst kann ich Dir nicht helfen.“
Manfred saß jetzt ruhig und sehr aufrecht. Aufmerksam sah er seine Mutter an. Er wußte, daß sie nie übertrieb. Was sie jetzt zu sagen hatte, mußte wirklich wichtig sein.
Tumu schluckte schwer, bevor sie fortfuhr: „Vor langer Zeit, als es in Europa noch wenige Menschen gab, war das Verhältnis von Bären, also von männlichen Bären, zu ihren Kindern ein ganz anderes als heute. Die Mütter mußten die Jungen vor den Vätern in Sicherheit bringen, damit … damit …“ Tumu mußte dreimal Anlauf nehmen, bis sie das Furchtbare schließlich erklären konnte: „…damit sie sie nicht auffraßen.“
Manfred saß ganz starr. Widerstandslos ließ er es geschehen, daß seine Mutter ihn wie ein kleines Kind in die Arme nahm und streichelte. In seinem Kopf tobte ein Wirbelsturm von Gedanken und Gefühlen.
„Aber warum….“ fragte er nach einer langen, lastenden Pause. Er brach jedoch sofort wieder ab. Es gab zu viele Warums, und er wußte nicht, welches er zuerst beantwortet haben wollte.
Tumu verstand ihn auch ohne Worte. „Vielleicht gab es zu wenig Nahrung. Vielleicht erkannten die Bären ihren eigenen Nachwuchs nicht. Damals lebten wir noch nicht in festen Beziehungen zusammen, sondern streiften einzeln umher. Erwachsene Bären trafen sich oft nur zur Paarung und trennten sich dann wieder. Erst als die Menschen mehr wurden, als wir Bären weniger wurden und näher zusammenrückten, weil wir nur so überleben konnten, hat sich das geändert. Heute sind Bären liebevolle Väter.“
„Aber warum…“ fragte Manfred zum zweiten Mal. Eine Frage war noch immer nicht beantwortet.
„Alle Bärinnen wissen davon. Alle müssen es wissen, schon um der Vorsicht willen. Aber wir schwören, es keinem Mann zu erzählen. Wir wollen nicht, daß ihr ein schlechtes Gewissen habt. Du bist der einzige Bär, der jetzt dieses Wissen hat, aber Du mußt mir versprechen, es keinem anderen Mann mitzuteilen.“
Manfred nickte. Er wußte jetzt alles, aber es würde lange dauern, bis er es verdaut hatte. Die Bärinnen taten recht daran, dieses Wissen für sich behalten zu wollen.
„Meinst Du, daß Attis Reaktion bedeutet, daß die Bären hier in Amerika noch immer…“ Er schauderte und konnte auch diesen Satz nicht beenden.
„Ich nehme es an. Ich werde mit ihr reden. Wenn unsere Vermutung stimmt, dann wird sie Dir zunächst bestimmt nicht glauben, wohl aber mir. Laß mich nur machen!“ Sie stand auf und klopfte ihrem Sohn derb auf den pelzigen Rücken: „Ich finde, ihr paßt gut zueinander!“ Mit diesen Worten stapfte sie aus der Höhle.
Athabasca
Manfred mußte lange auf ihre Rückkehr warten. Währenddessen wurde es um ihn herum immer ruhiger. Ein schlaftrunkener Bär nach dem anderen kam herein, bahnte sich einen Weg möglichst weit nach hinten, weil es da am wärmsten war, und legte sich zum Schlafen. Allmählich wurde der Platz knapp, und Manfred wurde immer weiter zum kühlen Höhleneingang gedrängt. Nach einer ihm unendlich erscheinenden Zeit tauchte Tumu aus der Dunkelheit der längst eingebrochenen Nacht auf. Sie zauste ihrem Sohn das Kopffell, gähnte ungeniert und wies nach draußen. „Sie wartet auf Dich!“
Schon nach den ersten beiden Worten war Manfred auf und davon.
Die Bären in der ersten Tiefschlafphase hörten wenig von dem Toben, Knurren und Brummen, das nicht weit entfernt von der Höhle stattfand. Sie wachten auch nicht auf, als Athabasca und Manfred endlich als letzte auch zum Schlafen kamen. Sie fanden nur noch ein zugiges Plätzchen direkt am Eingang, aber das störte sie überhaupt nicht. Sie kuschelten sich eng aneinander und froren kein bißchen. So hatten es auch die Zellen, die sich in Attis Gebärmutter bald eifrig zu teilen begannen, mollig warm.