Bärdel boxte Kulle freundschaftlich, aber durchaus energisch in die Rippen.
“Nun komm schon hoch, Du Schlafmütze”, sagte er so laut, dass er auch beim besten Willen nicht zu überhören war. “Das neue Jahr ist schon fast wieder alt, der Tag ist schon zwei Stunden länger als zur Wintersonnenwende, und die gewendete Sonne scheint übrigens gerade. Genug der Hibernation! Lass uns spazierengehen!”
Kulle brummte ungnädig. Da er aber wusste, dass er gegen seinen energiegeladenen großen Freund keine Chance hatte, richtete er sich auf, reckte sich und steckte den Kopf aus der Schlafhöhle. Sofort zuckte er zurück.
“Spinnst Du?” wollte er wissen. “Da draußen liegt noch Schnee!”
“Weiß ich doch,” antwortete Bärdel seelenruhig. “Anders als der Herr Privatgelehrte bin ich nämlich schon eine Weile lang aktiv. Dehland erlebt seit Jahren mal wieder einen Winter, der den Namen auch verdient. Vielleicht ist es ja der letzte, bevor auch in Bärenleben die Palmen gedeihen. Also komm schon! Ich hab Dir sogar Schneeschuhe besorgt.”
Kulle schnallte sich zwei Apparate unter die Hinterpranken, die ihn sehr an Tennisschläger erinnerten. Es waren übrigens Tennisschläger – Manfred hatte sein Organisationstalent spielen lassen.
Draußen blinzelte er in den blauen Himmel und atmete tief durch, bevor er die ersten breitbeinigen Schritte wagte. “Ist tatsächlich eine gute Idee von Dir gewesen, die Nase aus der Höhle zu stecken,” gab er zu. “Die Luft tut gut. Aber die Luft macht auch Hunger – ich hätte jetzt nichts gegen ein paar Löwenzahnwurzeln einzuwenden, roh oder auch gebraten!”
“Da wirst Du noch ein paar Wochen warten müssen”, wandte Bärdel ein. “Der Löwenzahn, der bei Minusgraden im Schnee wächst, ist noch nicht erfunden.”
“Vielleicht doch. Kann sein, wir wissen es nur nicht.”
“Kaum bist Du wieder wach, versuchst Du, mich auf den Arm zu nehmen.”
“Im Prinzip ja, jetzt aber gerade nicht. Schon mal was von Monsanto gehört?”
“Ich glaube nicht. Ist das ein heiliger Berg oder so was?”
“Eher so was. Monsanto ist ein Agrarchemiekonzern, der genmanipulierte Pflanzen züchtet. Vielleicht auch anderes Genmanipuliertes, aber davon ist offiziell nichts bekannt. Belegt sind nur die Pflanzen.”
“Und warum macht das dieser Konzern?”
“Willst Du die offizielle Antwort oder die wahre?”
“Wie wär‘s mit beiden?”
“Monsanto bekämpft erfolgreich den Hunger in der Welt. Monsanto ist dafür unverzichtbar. Tatsächlich verdient Monsanto sich mit seinen Produkten dumm und dämlich. Seit 40 Jahren gibt es ein Pestizid mit dem schönen Namen ,Roundup‘. Das entsprechende Produkt in Europa vom Bayer-Konzern heißt ,Basta‘ – eigentlich könnte der Kanzler den Namen erfunden haben, weißt Du, der zweite, der mal bei uns war, noch im alten Bärenleben.
Hat er aber nicht. ,Basta‘ vernichtet ebenso wie ,Roundup‘ alle Pflanzen außer denen, die gegen es resistent sind, und das sind überwiegend genmanipulierte Pflanzen aus den Labors von Monsanto. Die Landwirte dürfen davon kein Saatgut zurückhalten, sondern müssen Jahr für Jahr neues kaufen. Von wegen Hungerbekämpfung! Hungerleider können sich kein teures Saatgut leisten, habe ich mir sagen lassen.”
“Ich glaube, ich habe davon schon mal gelesen”, sagte Bärdel nachdenklich. “Und zwar etwas Gutes, von einem Wissenschaftler.”
“Weißt Du auch, auf wessen Lohnliste dieser Wissenschaftler steht?”
“Du meinst…?”
“Ich meine erst mal gar nichts. Aber Fakt ist, dass Monsanto eine gute PR betreibt, natürlich nicht in eigenem Namen, sondern unter dem Feigenblatt wissenschaftlicher Objektivität. Tatsache ist auch, dass Regierungen und politische Parteien, vor allem in den USA, großen Konzernen traditionell gewogen sind, denn von großen Konzernen kommen große Spenden. Und die anderen Wissenschaftler, die sich gegen Monsanto aussprechen – die gibt es nämlich auch –, die werden von Greenpeace bezahlt oder von Friends of the Earth oder anderen Umweltverbänden.”
“Willst Du damit sagen, dass es keine objektive Wissenschaft gibt?”
Kulle blickte Bärdel empört an. “Natürlich gibt es eine objektive Wissenschaft – oder was meinst Du, was ich den lieben langen Tag so treibe? Aber mich bezahlt schließlich niemand. ,Wes Brot ich ess, des Lied ich sing‘ – das war schon richtig für Hartmann von Aue und Oswald von Wolkenstein…” Kulle sah in Bärdels Augen große Fragezeichen. “…Das waren Minnesänger…und das gilt auch noch heute.”
“Entschuldige bitte”, murmelte Bärdel zerknirscht. Ich wollte Dich nicht verletzen. Am liebste würde ich Dir jetzt eine Löwenzahnwurzel anbieten, aber leider ist gerade keine da.”
“Zum Glück ist keine da!” korrigierte Kulle. Er dreht sich um und geriet dabei auf seinen Tennisschlägerschneeschuhen beinahe aus dem Gleichgewicht. “Komm, wir gehen nach Hause. Tumu hat bestimmt noch eingelegte Wurzeln vom letzten Herbst übrig. Wie wär‘s, wenn Du Deine Frau überredetest, uns ein leckeres Frühstück zu bereiten?”
Bärdel hatte nichts dagegen.