Margarete Holz stammt aus traditionellen Familienverhältnissen. Der Vater, Christian Holz, und die Mutter, Marie Holz geborene Schwarz, haben außer Margarete noch einen Sohn, Johannes. Johannes ist zwei Jahre jünger als Margarete.
Die finanziellen Mittel der Familie Holz waren und sind sehr begrenzt. Als Wohnung dient ein bescheidenes Haus am Rand eines Dorfes, eher eine Hütte, die von Generation zu Generation vererbt wurde.
Christian Holz ist als LKW-Fahrer bei einer international tätigen Spedition beschäftigt. Nach dem Abschluss der Volksschule war er zunächst als ungelernter Waldarbeiter tätig, ein saisonales Beschäftigungsverhältnis, das ein nur unregelmäßiges Einkommen mit sich brachte. Sein gegenwärtiger Arbeitgeber, der dringend Fahrer suchte und immer noch sucht, bezahlte ihm den Führerschein. Die aktuelle Tätigkeit hat zu einer verbesserten finanziellen Situation der Familie geführt, brachte aber andere Friktionen mit sich.
Als Fernfahrer ist Christian Holz nur selten und unregelmäßig zu Hause bei seiner Familie. Das war organisatorisch kein Problem, solange die leibliche Mutter seiner Kinder, Marie, die Sorge für Sohn und Tochter übernahm. Als Marie jedoch nach ihrer dritten Geburt, bei der das Kind tot zur Welt kam, Opfer des Kindbettfiebers wurde, musste nach einer anderen Lösung gesucht werden.
Es soll positiv hervorgehoben werden, dass Christian Holz sich gegen eine verbrecherische, wiewohl in seinem Milieu durchaus verbreitete scheinbare Lösung entschied: Er setzte seine beiden Kinder nicht in einer ihnen fremden Umgebung aus, was ihm als Fernfahrer zweifellos leicht gefallen wäre. Auch gab er die Tochter und den Sohn, die er liebte, nicht zur Adoption frei. Er suchte stattdessen nach einer neuen Frau.
Nur wenige Wochen nach dem Tod seiner ersten Frau, die er zu Hause hatte verbringen müssen, um seine Kinder zu versorgen, heiratete er Katerina Swoboda. Frau Swoboda hatte bisher an der tschechisch-bayerischen Grenze sexuelle Dienstleistungen angeboten, sie war auf Fernfahrer spezialisiert. So hatte Holz sie kennengelernt.
Swoboda zog nach der Hochzeit in das Häuschen ihres Mannes, der daraufhin wieder seiner beruflichen Tätigkeit nachging. Das Leben der Kinder Margarete und Johannes veränderte sich stark.
Katerina zeigte gegenüber Johannes eine starke Zuneigung, während sie Margarete emotional vernachlässigte. Sie bürdete dem Mädchen die gesamte Hausarbeit auf, während sie sich mit Johannes beschäftigte. Dabei widmete sie nach Aussagen von Margarete dem Geschlechtsteil des Jungen besondere Aufmerksamkeit. Sie habe seinen Penis in den Mund genommen und daran gesaugt. Die Hoden habe sie „abgeschleckt“. Wenn ihr Mund frei gewesen sei, habe sie einen Finger gern in den Mund des Jungen gesteckt. Auch habe sie Johannes ausdauernd am ganzen Körper gestreichelt und gekitzelt und sei entzückt gewesen, wenn das Kind gejauchzt habe.
Als sie in den Haushalt eintrat, habe Katerina bemängelt, dass Johannes zu dünn sei. Er brauche Pölsterchen, um „knuffig“ zu sein. Klein, rund und weich solle er sein, dann werde sie ihn „zum Fressen gern“ haben.
Die Lebensmittelzuteilung in der Kleinstfamilie entsprach diesen Präferenzen. Während Margarete Hunger litt, wurde Johannes mit seinen Lieblingsessen vollgestopft und gemästet. Margarete versuchte, ihren jüngeren Bruder zu warnen: Er solle sich den wohlschmeckenden Verführungen verweigern, die neue Mutter wolle ihn nur mästen, um ihn aufzuessen.
„Hänsel, sie will Dich umbringen!“
Ihre Warnungen stießen auf taube Ohren, dem Kind schmeckte es zu gut. Vielleicht verstand der Junge seine Schwester auch nicht.
Margarete behauptet, Katerinas Äußeres habe sich allmählich verändert. Ihr Rücken habe sich gekrümmt, sie habe rote Augen bekommen, die Finger seien zu dürren Krallen geworden. Sie habe ausgesehen wie eine Hexe.
Margarete suchte nach einem Ausweg, um ihrem Bruder zu helfen und selbst dem Hass der Stiefmutter zu entkommen.
Ihren Vater konnte sie nicht erreichen. Er hatte keine feste Adresse, und sie hatte kein Handy. Und wenn sie es vermocht hätte, Kontakt aufzunehmen, war nicht sicher, ob er ihr Gehör schenken würde.
Sie hätte beten können, aber sie war nicht gläubig. Sie war ein schwaches, unterernährtes Kind von knapp sieben Jahren. Katerina war sie physisch unterlegen. Von ihrem fünfjährigen adipösen Bruder konnte sie keine Hilfe erwarten.
Margarete hat ausgesagt, sie habe die Lösung geträumt. Eine Fee sei ihr im Schlaf erschienen und habe ihr eine Pflanze vor die Nase gehalten, die stark nach dem Urin von Mäusen gerochen habe. Sie habe den Geruch genau erkannt, obwohl es das erste Mal gewesen sei, dass sie im Traum etwas gerochen habe. Mäuse seien in ihrem Vaterhaus eine ständige Plage.
Die Fee habe die kleinen Früchte der Pflanze von den Hülsen befreit, sie zerrieben und auf das Wasser in einem Glas gestreut. Dann habe sie es einer Frau gereicht, die ausgesehen habe wie Katerina.
Gesprochen habe die Fee nicht.
Margarete hat zugegeben, die Pflanze gekannt zu haben, sie sei direkt hinter dem Haus am Wegesrand gewachsen.
Unter tiefenpsychologischen Gesichtspunkten handelt es sich bei Margaretes Traum um Projektion und Übertragung. Da das Kind vor der Vorstellung zurückschreckte, die Stiefmutter aus eigenem Antrieb zu ermorden, projizierte es den Plan auf eine Märchenfigur und übertrug die Ausführung des Giftanschlags ebenfalls auf diese.
Am nächsten Morgen habe sie das Getränk aus den Pflanzenfrüchten auf den Tisch der Küche gestellt und sei ins Dorf gegangen, um Milch zu kaufen. Als sie wiedergekommen sei, habe Katerina, von Krämpfen geschüttelt, neben dem Tisch auf dem Boden gelegen. Sie habe sich nicht mehr bewegen können und nicht genug Luft bekommen. Schließlich sei sie erstickt.
Margarete habe sich nicht weiter um ihre Stiefmutter gekümmert, sondern nach ihrem kleinen Bruder Johannes gesehen. Der überfütterte Junge habe vor Hunger geschrien, sie habe ihm aber nichts zu essen gegeben, sondern ihn in einen Handkarren gesetzt und ihn in diesem Gefährt ins Dorf gezogen.
Zeugen bestätigen, dass das Brüllen des Kindes die Bewohner hat zusammenlaufen lassen. Da Margarete nicht zum Reden zu bringen war, schickte man zur Stiefmutter, deren Leiche so entdeckt wurde.
Die Polizei wurde alarmiert, das Jugendamt eingeschaltet, über den Arbeitgeber konnte der Aufenthalt des Vaters ermittelt werden.
Margarete und Johannes wurden in Obhut genommen.
Johannes machte unter ärztlicher Kontrolle eine Abmagerungskur, um sein Normalgewicht wieder zu erreichen. Er lehnt jeden Kontakt mit seiner Schwester ab. Er macht sie für alles verantwortlich.
„Gretel ist an allem schuld!“ wiederholt er immer wieder.
Margarete ist nicht strafmündig und schon allein deshalb schuldunfähig, abgesehen von den psychischen Belastungen, denen sie ausgesetzt war. Sie will mit ihrem Vater nichts mehr zu tun haben.
Christian Holz ist den beruflichen Belastungen als Fernfahrer nicht mehr gewachsen. Seine Reaktionsgeschwindigkeit ist stark verlangsamt, er kann sich nicht über längere Zeit konzentrieren. Er arbeitet wieder saisonal als Waldarbeiter und ist auf zusätzliche Leistungen nach SGB2 angewiesen. Er hat auf das Sorgerecht für seine Kinder verzichtet.
Johannes und Margarete sind zur Adoption freigegeben. Die Chancen für eine erfolgreiche Vermittlung stehen schlecht.
Dezember 23